Bring mich nach Hause..

..weil das Leben der Eltern das Buch ist, in dem die Kinder lesen.

Manchmal tauchen beim Schreiben Erinnerungen auf, die sich anfühlen wie alte Polaroids – leicht verblasst, an den Rändern eingerissen, aber noch voller Leben. Ich sehe mich selbst darin, ein jüngeres Ich, mit Gedanken, die ich nie laut gesagt habe. Nicht, weil sie verboten waren, sondern weil ich damals noch nicht wusste, wie man Gefühle in Worte legt, ohne dass sie gleich alles verändern. In meinen Texten finden sich heute Dinge, die ich früher verschwiegen habe. Sätze, die irgendwo zwischen Trotz und Zärtlichkeit hängen geblieben sind. Ich weiß, dass sie gelesen werden – und dass sie manchmal traurig machen. Doch das, was ungesagt blieb, war nie gegen euch gerichtet. Ich habe gesehen, wie viel ihr geleistet habt, um uns etwas zu ermöglichen. Ihr habt uns drei großgezogen, uns Sicherheit gegeben, Werte, Halt. Ihr habt getragen, gegeben, geschafft. Und ich wollte stark sein – so wie ihr. Vielleicht war mein Schweigen eine Art Selbstschutz, in einer Zeit, in der ich selbst noch nicht wusste, wer ich bin. Vielleicht war es auch ein Erbe unserer Generation – der Kinder von Menschen, die gelernt hatten, dass man etwas aus sich machen muss: Haus bauen, Kinder großziehen, Baum pflanzen. Die wussten, dass man Gefühle nicht auf den Tisch legt wie Besteck, sondern sie in den Alltag einarbeitet – zwischen Arbeit, Pflichten, Rechnungen und Abendessen. Ich weiß, ihr habt geliebt, indem ihr getan habt. Euer „Ich bin da“ lag zwischen frisch gebügelter Wäsche und langen Arbeitstagen, in jeder Brotdose, in jeder Sorge, die ihr für euch behalten habt. Und so bin ich groß geworden zwischen dieser Stärke und einer leisen Sehnsucht nach dem, was man nicht aussprach. Schon immer bin ich irgendwie anders gegangen – manchmal barfuß, manchmal verloren, aber immer mit einem Kompass, den ihr mir, vielleicht ohne es zu wissen, gegeben habt. Heute sehe ich klarer, was damals unsichtbar war: die Mühe, das Wollen, die Liebe, die sich in Gesten zeigte statt in Worten. Ich erkenne die Menschen hinter den Eltern – mit eurer eigenen Geschichte, euren unausgesprochenen Sorgen, euren stillen Hoffnungen. Heute sind unsere Gespräche anders. Tiefer. Ehrlicher. Ihr habt mir gezeigt, was Verantwortung heißt, und ich darf euch zeigen, wie Nähe klingt. Manchmal, wenn ihr mir sagt, ihr seid stolz auf mich, wird es still in mir – auf diese gute Art. Ein warmer Ton breitet sich aus und irgendwo, tief im Kind, das ich einmal war, geht ein kleines Licht an. Dann fühlt es sich an, als würde etwas aufblühen, das lange unter der Oberfläche geschlummert hat – ein echtes Verstehen, nicht nur als Eltern und Kind, sondern als Menschen, die gelernt haben, einander neu zu sehen. Vielleicht holen Worte, die man Jahre später schreibt, etwas nach, was damals keinen Platz fand. Vielleicht ist Schreiben mein Weg, Nähe herzustellen – rückwirkend, tastend, ehrlich. Und vielleicht muss Verstehen nicht immer zeitgleich geschehen. Am Ende bleiben wir alle Kinder, die versuchen, ihre Eltern ein Stück besser zu begreifen – und Erwachsene, die hoffen, dass unsere eigenen Kinder uns eines Tages auch so lesen: mit Nachsicht, Liebe und dem Wissen, dass Schweigen manchmal nur eine andere Form von Zuneigung ist…

by KathiStrophe

Zwei Dinge sollten Kinder von ihren Eltern bekommen: Wurzeln und Flügel.

Johann Wolfgang von Goethe

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