Zeit zu gehen..

…von jenen, die selbst entschieden haben.

Gevatter Tod und ich sind schon seit über zwanzig Jahren treue Weggefährten. In der Vergangenheit hab ich viele Menschen gehen lassen müssen – aufgrund des Alters, aufgrund von Krankheiten und wenige aufgrund eigener Entscheidungen. Ich war 15 Jahre alt, als ich zum ersten Mal davon erfuhr, dass jemand aus meinem Bekanntenkreis seine Entscheidung getroffen hatte und viel zu viel prasselte auf mich ein. Wie ich mit all den Gefühlen umgehen sollte, wusste ich nicht und so bediente ich mich oft genug der Verdrängung. Einige Jahre später jedoch wiederholte sich die Situation. Wir waren grad dabei unser Abitur zu feiern und saßen regelmäßig mit unserer Truppe zusammen – manche kannte man besser, andere weniger. Weil ich für die hiesige Jugendseite der Lokalzeitung schrieb, wurde ich gefragt, ob ich vielleicht mehr wüsste über unseren vermissten Mitfeiernden, aber das war nicht der Fall. Kurze Zeit später fand man ihn und schlagartig wurde ich zurück versetzt in die Vergangenheit. All die Gefühle und Gedanken kamen wieder hoch, doch ich zwang mich, dem Standard zu entsprechen. Viel zu oft sagte ich mir, dass man nicht wütend sein darf auf die, die gegangen sind und wie zuvor versuchte ich, all die negativen Gefühle beiseite zu schieben. Ich trauerte, aber wütend sein, untersagte ich mir. Irgendwann jedoch war der innerliche Druck so groß, dass ich meinen Gefühlen nicht mehr standhalten konnte. Auch wenn es verpönt ist, war ich wütend und all das raus zu lassen, half mir ungemein. Ich klagte an, fragte nach dem warum und wusste nicht, weshalb er mit niemandem gesprochen hat. Bei all der Traurigkeit, ließ ich die Wut zu, denn ich wollte sie nicht mehr in mich hineinfressen. Innerhalb unserer Truppe suchten wir offen die Gespräche miteinander und ich merkte, dass all die Emotionen auch bei anderen ihren Weg fanden. Auch sie waren wütend, auch sie klagten an und auch sie waren genauso traurig, wie ich. Damals lernte ich, dass all diese Gefühle ihren Platz haben, dass es egal ist, ob man es darf oder nicht und dass sie einem helfen, wenn man sie aussprechen kann. Wir alle haben uns zu der Zeit den Raum dafür gegeben und ich habe, wie schon viel zu oft, all das in meinem Abschiedsbrief loswerden können. Auch heute noch spüre ich, wie oft Menschen beschämt sind, weil sie Wut empfinden und ich merke, wie sie mit sich hadern. Anstand hin oder her, wenn jemand geht, dann sollte man all seine Gefühle loswerden dürfen – egal ob Trauer oder Wut, denn nur so können die Hinterbliebenen ihren Frieden finden. Wenn sie den Frieden nicht in sich selbst finden können, werden sie es nirgendwo anders tun…

By KathiStrophe

Nun ist es Zeit weiterzugehen: für mich, um zu sterben, für euch, um zu leben. Wer von uns dem Besseren entgegengeht, ist jedem verborgen.

Sokrates

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